Samstag, 2. Juni 2018

Predigt zum fernen nahen Gott

Der Herr sagt: »Ich bin nicht der nahe Gott, über den ihr verfügen könnt, ich bin der ferne Gott, der über euch verfügt. Niemand kann sich so gut verstecken, dass ich ihn nicht doch entdecken würde. Es gibt keinen Ort im Himmel und auf der Erde, an dem ich nicht wäre!«  (Jer 23)

Predigt:

Manchmal ist Gott so fern, 
dass es nicht aus zuhalten ist.

Es ist still geworden im Krankenhaus. Ich zünde die Kerzen in der Klinikkapelle an. Lege meine Bücher zurecht. Die Tür geht auf. Drei Männer kommen. Als ich sie sehe, weiß ich, dass ich die Bibelgeschichte von der Frau, die Jesus gesalbt hat und die schönen Karten mit Salbölduft weggelegt kann. Die drei, die da kommen, die brauchen etwas Handfestes, das sehe ich auf den ersten Blick. Tief aus dem Schrank suche ich die Postkarten mit dem Text in Kreuzform. Es ist das Vaterunser. Abend ward, bald kommt die Nacht, singen wir, schlafen geht die Welt, denn sie weiß, es ist die Wacht über ihr bestellt. Und dann lese ich was Jesus gesagt hat über das Beten. Erzähle, was ich selbst erlebt habe mit dem Vaterunser. Und dass es manchmal hart ist zu sagen „dein Wille geschehe“. Besonders wenn das, was das Leben mir bietet, gerade unannehmbar ist. Und dass ganz und gar Kraft in diesem Gebet steckt und dass man "die Kraft“ aussprechen kann und sich ein wenig davon holen - von der Kraft Gottes. Wir beten es laut, die Männer stehen auf, auch wenn es ihnen Mühe macht. Vaterunser! Und ich segne sie. Jeden einzelnen. Dann sitzen wir nur und hören die Musik. 

Der Herr sagt: »Ich bin nicht der nahe Gott, über den ihr verfügen könnt, ich bin der ferne Gott, der über euch verfügt. Niemand kann sich so gut verstecken, dass ich ihn nicht doch entdecken würde. Es gibt keinen Ort im Himmel und auf der Erde, an dem ich nicht wäre!« 

Am Ausgang bleibt der Erste stehen. Und plötzlich erzählt er von seiner Scham mit dieser Sache, mit der Prostata. Fest und lange drückt er meine Hand. 
Und der Zweite sagt, er nähme die Karte mit unters Leichenhemd, falls es schief gehe morgen mit der Bandscheiben-OP. Und wie zerbrechlich sein Rücken gerade sei und er sei gleich mit zerbrechlich. Zart nehme ich seinen vom eingeklemmten Nerv taub gewordenen Arm und halte kurz seine Hand. 
Der Dritte hat extra gewartet. Als er meine Hand zum Abschied nimmt, bricht er in Tränen aus. Dabei hätte er gar keine Grund, sagt er. Er wisse doch jetzt, dass es keine weiteren Metastasen gäbe. Aber nun fällt all das Entsetzen von ihm ab. Er hätte noch kein Kraft sich zu freuen. 

Manchmal ist Gott so fern, 
dass es nicht aus zuhalten ist.

Als ich schließlich noch kurz auf die Intensivstation gehe, finde ich einen in einer Sitzecke. Erschöpft sitzt er da. Es ist spät. Er hat Feierabend. Bevor er nach Hause fährt, dauert es noch. Da isst er lieber hier noch sein Brot. Und kaum, dass wir uns begrüßt haben, erzählt er von seiner Erschöpfung. Er erzählt, wie es ist, als Mann in ein Burnout zu rutschen und nicht mehr zu funktionieren. Nichts mehr zu bringen. Er erzählt, wie es ist, als Single zu leben ohne Familie und scheinbar nicht zu genügen als Partner. Er erzählt von der Einsamkeit. Er erzählt wie es ist, wenn er mit klopfenden Herzen ins Büro des Chefs gehen muss, wie es ist , herunter geputzt zu werden, erniedrigt - und das mit Mitte 50. Er erzählt von der Gewalt der Macht der anderen. Er erzählt von seiner Ohnmacht. Und: wie gerne er immer in die Kirche ging. So viel würde er beten. Das wäre gut. Das Gespräch mit Gott. Und für einen Moment fühle es sich an, als wäre Gott da. Aber dann, sobald er die Kirche verließe, da wäre es wieder kalt.  Er erzählt wie es ist, sein Leben irgendwie verloren zu haben, als Mann nicht der Mann zu sein, den andere erwarten. Er erzählt wie es ist, sich dem Rausch hinzugeben. Abzutauchen in den Rausch. Wie es ist, dort die Stärke zu finde und die Coolness, die er sonst nie hatte. Wie es ist den Entzug zu machen. Wie es ist, dennoch sich nach dieser im Rausch gefundenen Männlichkeit zu sehnen. Und wie es ist, stumm bleiben zu müssen, denn mit wem könnte man schon darüber reden. 

Manchmal ist Gott so fern, 
dass es nicht aus zuhalten ist.

Der Herr sagt: »Ich bin nicht der nahe Gott, über den ihr verfügen könnt, ich bin der ferne Gott, der über euch verfügt. Niemand kann sich so gut verstecken, dass ich ihn nicht doch entdecken würde. Es gibt keinen Ort im Himmel und auf der Erde, an dem ich nicht wäre!« 

Ich kann es nicht machen
dass Gott nahe ist.
Ich kann es nur zulassen, es erlauben, erwarten, erhoffen, ersehnen, glauben, es wünschen, danach gieren.
Ich kann sogar sogar damit rechnen,
darauf gefasst sein
und darauf setzen.
Aber machen
kann ich es nicht.

Ich wünschte oft,
ich könnte es machen.
Ihn herbei zerren, den Gott
und ihn schauen lassen, was los ist.
Ihn auf die Station schicken
zu den drei Männern
und zu dem einen. 
Ihn herbei holen, Gott.

Aber an dem Abend.
Als die drei in der Kapelle waren
und ich mit dem einen lange bis in die Nacht saß,
da habe ich gespürt,
wie nahe Gott gerade bei ihnen sein muss.
Da war nicht nur schämen, da war vertrauen.
Da waren nicht nur Schmerzen, da war hoffen.
Da waren nicht nur Tränen, da war aufschauen.
Da war nicht nur zweifeln und suchen, 
da war sich-geleitet-wissen und bewahrt. 

Gott war bei ihnen
und sie haben es nicht gewusst.
Im Auge des Sturms haben sie es nicht gewusst.
Oder vielleicht haben sie es ja doch tiefer gewusst,
als sie es sagen könnten.

Manchmal ist Gott von ganz alleine so nah, 
dass er nicht mehr zu spüren ist.

Der Herr sagt: »Ich bin nicht der nahe Gott, über den ihr verfügen könnt, ich bin der ferne Gott, der über euch verfügt. Niemand kann sich so gut verstecken, dass ich ihn nicht doch entdecken würde. Es gibt keinen Ort im Himmel und auf der Erde, an dem ich nicht wäre!« Amen.


Und der Friede Gottes, welcher höher ist, als all unsere Vernunft, mache unseren Herzen Mut und bewahre uns in Jesus Christus. Amen.


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