Donnerstag, 31. Oktober 2024

... Friedenssaat und Weltformat...


Predigt zum Reformationstag 2024 

(Röm 3, 21-28)



Sie tragen Bärte und Kapuzenpulli. Sie sprechen mit tiefer Stimme, drehen sich Zigaretten und parken ihr Auto in Deinem Hof. Sie trinken Hafermilch im Kaffee und grillen gerne. Sie sind eines Tages da, sitzen an Deinem Küchentisch, benutzen Dein Bad und schaukeln auf Deiner Hollywoodschaukel… Schwiegersöhne. Vermutlich sind einige im Raum auch von dieser Invasion in der eigenen Wohnung betroffen oder erinnern sich daran, wie es war, selbst Schwiegertochter oder Schwiegersohn zum werden.  
Ehrlich gesagt, hatten ich das nicht so ganz auf dem Schirm, als ich mit meinen kleinen Töchtern damals im Sandkasten saß und durch Tierparks schlenderte, sie auf Schaukeln hob und Wärmekissen für ihren kleinen Bäuche machte. Und irgendwie eines Tages, ohne Vorankündigung hatte unsere Familie plötzlich Zuwachs und mir wurde klar, dass da plötzlich Menschen dazu gehören würden, die ich nicht selbst ausgesucht hätte. Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich das auch nicht ändern könnte, sondern, dass ich sie nur mit ganzem Herzen als Teil der Familie annehmen und mich auf die Entscheidung meiner Kinder verlassen müsste. Sie, denen sie ihr Herz geschenkt hatten, dürften gute Menschen sein und meiner Liebe ohne Bedingung würdig. Sie müssten sie nicht verdienen mit etwas, dafür etwas vorzeigen oder erarbeiten. Vielleicht müsste das Vertrauen zwischen uns wachsen. Aber grundsätzlich wäre das nichts was ich wählen könnte. 
Ich weiß, mein Bild hat seine Grenzen, denn nicht alle Schwiegerverhältnisse kommen gut miteinander aus. 

 

Umso stärker ist es, dass Gott es tut, denke ich immer. Umso stärker ist es, dass Gott es tut. Unsere menschlichen Versuche sind oft unbeholfen und ungenügend und sehr verbesserungswürdig ist das, was wir mit unseren kleinen Herzen so schaffen. Wir sind da eher wählerisch bei unseren Mitmenschen. Und schon gar nicht bedingungslos. Was sollte Gott da sagen, der Völker und Völker, (Heerscharen von Schwiegersöhnen und - töchtern sozusagen) Menschen aller Ausprägung täglich in seine Familie und sein Herz aufnehmen muss… und es tut.

Wir feiern diesen Tag hier heute, weil Gott das Lieben und Schätzen, das Dich-Sehen und Dich-nehmen-wie-Du-bist nicht nur viel besser hinbekommt, als wir, sondern weil dies sein Programm ist, das er in die Welt gebracht hat. Alles, was lebt, gehört zu ihm. Nicht Du kannst es machen, dass Gott Dich mag, das macht Gott von sich aus. Hat er längst getan. Und dazu musst Du nicht auf eine bestimmte Weise so oder so sein. Und: Du kannst es nicht verlieren. Ein Gott der verbindet, weil wir es nicht so gut können und der diesen Maßstab in die Welt setzt - also seine Liebe - und seine Zusage für jeden und jede. Das ist eine Art Lebenshalt-Idee, die ganze Menschengruppen und Völker, die Kleinsten und die Größten im Leben halten und prägen kann. Das ist eine ganz tiefe Friedenssaat, ein Weltformat, eine Überlebensstrategie. Auch wenn es scheinbar im Moment in dieser Welt und in unserem Land einwenig Federn lässt, aber das macht es nicht falsch. 

Schon die allerersten Texte der Bibel erzählen von so einem Gott. Der erste der diese Erkenntnis genauso aufschrieb, war Paulus. Für ihn und seine ersten Gemeinden stellte sich die Frage - wie bei einer Familie - wer gehört denn dazu? Wer darf denn mitmachen? Wer darf dabei sein? Er hatte in seinen Gemeinden die Menschen, die schon immer dem jüdischen Glauben gefolgt sind, die schon vorher zu Gott gebetet hatten, die Bewahrer der alten Psalmen und Geschichten über Gott. Die gehörten eben schon immer dazu. Und er hatte die Neuen. Aus aller Herren Länder. Aus allen Religionen oder Philosophien. Aus allen Gesellschaftsschichten. Die fühlten sich von dem, was Jesus gesagt und getan hatte einfach angesprochen, innerlich hingezogen. Nun waren die auch da. Alle diese andern - in den neuen Gemeinden. Mussten die jetzt außer der Taufe noch was dafür tun? Gott erstmal überzeugen? Mit welchem Recht durften die einfach auch an diesen Gott glauben? 
Wenn ich Jesus richtig verstanden habe, sagt Paulus, dann ist es Gott, der in Deinem Glauben und Deinem Leben zu Dir in Kontakt kommt und etwas mit Dir macht. Wo Du herkommst und was Du vorher gemacht hast, was Du auf der Kante hast und was Deine gesellschaftliche Position ist, Mann, Frau - egal. Für Gott - egal. „Die Gemeinde“ sind die, die Jesus nachfolgen und an Gott und seine Geistkraft glauben. Punkt. Das ist das Band, das uns verbindet - wie eine Familie ihre gemeinsam Herkunft - dass Gott zwischen uns keinen Unterschied macht.  

Lange hat die Kirche diese Worte dann komplett verkehrt herum missverstanden. Menschen wurden klein gemacht und bedrückt. Sie wurden schier atemlos, weil sie sich Gottes Liebe verdienen sollten, sagte die Kirche. Oder dafür zahlen. Ein unerreichbares Ziel. Aber was ist das für ein Gott, der so böse ist, dass er mich nur liebt, wenn ich zahle, diene, buckele. Martin Luther hat darüber geweint. Er wollte diesen Gott, von dem er in der Bibel las, er brauchte ihn, er war das einzig verlässliche ein einer Welt voller Kriege und eines harten Lebens. Und er kam nicht zu ihm. Und andere schon gar nicht. 
Der Moment muss so stark gewesen sein, als es in seinem Kopf die Erkenntnis gab, dass sie das alle falsch verstanden hatten und andere hatten mit Gott Geschäfte gemacht. Gott gibt es umsonst. Weil Gott es will. Weil er Dich will, weil er dich stärken und halten will. Bevor du gut bist oder cool oder nützlich oder erfolgreich. Für viele Menschen wurde dieser Gott einer, der ihr Herz frei machen konnte von Schwere und sie mutig werden ließ in schweren Situationen. Allein aus dem Glauben konnte das geschehen. Und dieser Vers wurde seitdem für Menschen zu einer Tür zu einem ganz persönlichen Glauben und zu einem Spruch der Freiheit. Und es bekam eine solche Kraft, weil es in der Bibel stand, die als Autorität von den Menschen akzeptiert war.

 

Ob und wenn ja welche Konsequenzen das für unser Leben hat, darüber haben Menschen gerungen und das tun wir bis heute. Manchmal tun wir so, als ob das alles eine Frage der Auslegung sei. Im Detail ist das möglicherweise so, aber nicht im Grundsatz. Alleine hier in unserem Predigttext steht 8 x das Wort gerecht oder Gerechtigkeit. Die alten jüdischen Rabbinen haben gesagt, die Welt stünde auf einer einzigen Säule und das sei die Gerechtigkeit. Als tiefe Friedenssaat, Weltformat und Überlebensstrategie. Ich wünsche mir, dass dieser Bibeltext, der die Reformation mit entzündet hat, uns entzünden mag und uns genügend Reserven gibt, Gerechtigkeitslichter zu sein in unserem Umfeld. Da, wo wir leben und arbeiten. Das wäre ganz nach Gottes Geschmack. 

Gestern Abend bin ich im Dunkeln auf der Autobahn unter einer Brücke durchgefahren. Von weitem dachte ich, auf der Brücke wäre vielleicht ein Unfall passiert. Ich sah Menschen, Lichter, flatternde Bänder. Im Näherkommen sah ich große Transparente, auf den das Wort „Frieden“ stand und Menschen mit wehenden Friedensfahnen im Licht ihrer Fahrzeuge. Sie winkten von der Brücke hinab den Hunderten auf dem Weg nach Hause mitten am Abend, in der Rushhour des Tages, mitten im Verkehrs- und Lebensgetümmel. Und ich dachte: Ja! So! So Christen sein. Dass andere auch im Durchflug durch ihren Alltag erinnert werden an das, was gut ist für unser Leben und zusammenleben. Wie Leute wären wir - mit bunten Fahnen im Dunkeln. Vielleicht klingt das ein wenig pathetisch. Aber vom Herzen her glaube ich das: dass dieses Wort Gottes nochmal neu zum Festhalten in wilden Zeiten wird. Wir haben Worte, die zusammenhalten und Kräfte, die heilsam und verbindend sind. Wir haben Worte, die Leben verändern.
 
Wir haben! Lebenshalt, Friedenssaat, Weltformat, Überlebensstrategie. 
Was für eine wilde Phantasie, diesen Glauben sichtbar zu leben!  Amen!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 
der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 
und stärke unsre Liebe. Amen.

 

Sonntag, 27. Oktober 2024

... die eigenen dunklen Flecken verwandeln lassen....

Predigt im 600. Festjahr des Stendaler Doms
über das Motiv des zentralen Christusfensters 






Ganz in der Mitte

ist: die Passion.

Und zwar ganz ganz in der Mitte.

In der Mitte der Mitte der Mitte.

Mitte der Kirche,

Mitte des Chorraumes, 

des Fenster-Reigens,

des Mittel-Fensters,

Mitte von oben und unten. 


Da in der Mitte

schau genau hin,

da scheint sich

irgendwie 

der Raum auszudehnen

aufzulösen

scheint

für einen Moment 

die Zeit stehen zu bleiben


Denn Drumherum

tobt das Leben

in diesen durchsichtigen Kunstwerken

voll Licht und Farbe und Linien.


Um das Kreuz in der Mitte

ist ein dunkler Fleck.

Als wenn kurz

das Herz aussetzt.

Vielleicht tat es das sogar

ganz kurz .... 

....Gottes Herz.

Aussetzen … 

für eine Weltsekunde.

Am Holz allen Leides der Welt.

 

Die Passion so heißt es,

war vielleicht 

im Mittelpunkt der Erschaffer 

dieser Fensterkaskade.

Ganz vorne im Zentrum: Jesus

und sein Weg des Leidens,

sein Weg zur Passion,

Schlüssel und Grundidee 

für alles zusammen,

so heißt es.

Was ich sehe,

ist ehrlich gesagt die

Verwandlung des Leidens.


Was ich sehe ist 

die Wolke der starken und schwachen 

Zeuginnen und Zeugen,

durch die Fenster hindurch

bis zu uns in den Bänken,

die millionenfach, Leben für Leben

Ausdruck sind von einer Lichtbewegung

die mit einem Stern und 

einem Engel begann. 


Und in der Mitte im Mittelfenster

hält die Kamera an - in ein Zeitlupentempo,

zoomt das Bild einiger weniger Tage heran.

In Großformat.

Wie mit einer Lupe gesehen,

als würde man mit dem Mikroskop

den Zellen und dem Ursprung des Lebens 

auf der Spur sein,

ist hier ein Geschehen 

um ein Loch, 

einen dunklen Fleck im Licht der Welt im Fokus.


Die Texte des heutigen Sonntag 

verknüpfen sich auf eine wundersame Weise damit.

Sie verknüpfen sich mit den dunklen Flecken 

in unserem Lebensalltag.

Sie fragen heute in den Lesungen, 

was Menschen in ihren  

innersten intimen Gedanken bewegt.

Das Ringen mit sich selbst,

das Fehler machen und sich selbst im Weg stehen,

das nicht über den Schatten springen können,

das Tun, was man eigentlich nicht will.

Das Aussprechen von Sätzen, 

die man hinterher bereut, aber auch das nicht sagen kann.

Die Frage, wie man wieder gut wird miteinander,

wie man die zugefallenen Türen wieder aufbekommt,

wo Streit ist wegen irgendeinem Mist,

wo man sich entzweit 

und es bedauert, zutiefst. Aber nicht sagen kann.

Die Grübeleien in der Nacht, 

die niemals stattfindenden Reden, 

die der Kopf sich meterweise ausdenkt 

aus Protest oder aus Verletzung oder Traurigkeit.

Das, was meine Gedanken gefangen hält,

wo ich nicht frei bin, wo ich keine Grenzen ziehen konnte, 

wo ich an etwas scheitere, ermüde, verzweifle.  

Wo ich freier wäre, wenn ich könnte.

Mit meinem grübelndem Kopf,

mit meinem zagenden und manchmal feigen Herzen.

Heute auch in diesen Tagen.

umso mehr vielleicht als je. 


Wie oft muss ich vergeben? - ist Petrus Frage.

„Was mache ich, wenn ich immerzu tue, 

was ich gar nicht will? - ist Paulus Frage.

Wollen will ich wohl, so oft.

Es widerstreitet manchmal in meinem Verstand 

und hält mich gefangen.


Das sind Fragen, die an dieses Kreuz gehören.

Ein Unfrei-sein des Herzens und des Geistes.

Meine Not die ich da mit dran nageln will.

Das, was mich hindert am Unbeschwertsein, 

und am Glücklichsein.

Bei manchen nur hin und wieder, 

bei anderen leider oft.


„Zu dir nehme ich meine Zuflucht.“

sagte der Psalmbeter heute im Psalm.

Und es scheint, als krieche er damit ausgerechnet

in diese Höhle.

Eine Zuflucht in einer Höhle,

die mich kurz aus der Zeit nimmt,

mir den Atem nimmt, 

wie hier - mitten im Fenster.

Höhlenförmig wölbt sich die Zeit um das Kreuz.

Für Zeiten wo alles „ach“ ist 

und Du alleine mit einer Frage. 

Es nimmt dir kurz den Atem

- damit Dein Herz neu einsetzen kann.


Und da vielleicht 

könnte ein Erinnern sein.

Wie die, die Jesus nachfolgten,

da unterm Kreuz - im dunkelsten Fleck ihres Lebens

an den Jubel dachten, das gemeinsame Leben,

volle Tische, auf dem warmen Rücken des Esels den Weg gekommen, 

frisches Wasser, Essen und Trinken für dich gegeben. 

Gemeinschaft und Zusammenhalt.

Und wenngleich das alles schon an das Kreuz führte, 

war doch dort das Leben. Jede Sekunde. 

Am Rande der Katastrophen und Ängste 

flüstert Dir einer ins Ohr, so wie Jesus dem Petrus damals:

„Ich bete für dich, dass dein Glaube nicht aufhört."


Und wie die allerersten Sonnenstrahlen am Morgen

sich genau über den Horizont stehlen,

und innerhalb Minuten die Sonne sich den Weg sucht, 

so steht Jesus hier nach dem Tod am Kreuz mit den Füßen 

auf dem zerbrochenen Grab, ist voll Leben und grüner Hoffnung. 

Steht da, als würde er sagen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten!“ 

Und das spielt sich nicht im Himmel ab. 

Das ist noch im Bereich zwischen Himmel und Erde. 

Neues kommt hervor. 

Das ist möglich mitten im Leben!

Das ist das Leben, das ich schenke, sagt Gott: 

Nimm es als Bild für Dein Leben.

Für die dunklen Flecken in Deinen Tagen.

Wo es ist, als ob die Zeit stehen bleibt.

Nur für Dich hat Gott dies getan

und als Abziehbild auf Dein Herz gelegt.

Damit Du voll Vertrauen sagen kannst,

was auch immer vor Dir liegt:

„Dein Wille geschehe.

Ich befehle meinen Geist in Deine Hände, Gott“


Rot und strahlend 

wie Wärme und Liebe es in Deinem Leben tun,

bringt Jesus, denen, die um ihn herum sind,

genau das, was sie brauchen,

so haben die Fensterkünstler 

es als Bild der Hoffnung für unsere Herzen 

wie eine Überschrift ganz oben festgehalten:

einer tanzt, einer findet Ruhe und schläft,

einer lacht, einer legt die Hand auf das Herz. 

Seinen Jüngern sagte Jesus damals,

dass er sie ausstatten würde mit Kraft aus der Höhe. 


Und so ist dies für mich 

nicht nur ein Passionsfenster,

sondern ein Vorfreudefenster.

Rosa schmückt man die Altäre 

nach der halben Fasten- und Adventszeit  

als Zeichen der freudigen Erwartung.

Rosa steht für die Vorfreude. 

Rosa schimmern die Mauern und Bögen 

in diesem Fenster und sogar der Sarg.

 

Dies ist der Passionsweg Christi.

Dies ist der Weg zum Leben.

Dies ist Dein Leben, da wo Du wieder aufatmen kannst.

Dies ist die Grundidee: Gott kann verwandeln. Amen.


Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, 

der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß 

und stärke unsre Liebe. Amen.


... Friedenssaat und Weltformat...

Predigt zum Reformationstag 2024  (Röm 3, 21-28) Sie tragen Bärte und Kapuzenpulli. Sie sprechen mit tiefer Stimme, drehen sich Zigaretten u...