Samstag, 30. Juni 2018

Predigt für den 5. Sonntag nach Trinitatis


Ich stehe vor einem Regal mit Postkarten.
Ein guter Freund hat eine schwere Zeit vor sich
und ich will ihm gerne ein gutes Bild schicken
und ein paar herzliche Worte schreiben.
Ich suche ein Bild zum Auftanken, zum Hoffnung schöpfen, ein Bild mit Geborgenheit, mit Perspektive, mit Segen.
Bilder sagen manchmal mehr als Worte.
Vor mir ist eine Wand voller Karten 
mit biblischen Motiven:
Jesus und Johannes, 
Maria und Eva,
Gott der Schöpfer, 
Gott der Hl. Geist.
Bilder vom Abendmahl und Brotbrechen,
vom Fischfang und einer Krankenheilung.

Eine Karte zieht immer wieder meinen Blick auf sich.
Ich versuche sie zu ignorieren, aber es gelingt mir nicht.
Schließlich greife ich nach ihr.
Es ist eine sehr sehr unscheinbare Karte.
Nicht sehr farbenfroh, nicht gleich ansprechend. 
Ich erkenne auch gar nicht, wer abgebildet ist. 
Irgendein Mann und ein Himmel mit einer Hand. 
Die Zeichnung ist uralt.
Aus dem 6. Jahrhundert - steht auf der Rückseite.
Demnach ist dies eine der ältesten Bibelillustrationen,
gefunden im heutige Syrien,
nicht weit von Haran, wo Abram sich auf dem Weg machte.
Gemalt auf purpur gefärbtem Pergament. 
Purpur, wie die Kleider des Kaisers.
Darauf geschrieben die ersten Worte der Bibel:
Von Licht, Gott, Erschaffung,
Menschenliebe und Menschenstreit.
Und von Abrams Segen.
Und unter den sorgfältig gepinselten 
alten griechischen Worten
finden sich erste Bilder zu den Geschichten der Bibel.
Ich halte daraus ein Bild von Abram in der Hand.
Zuerst sieht man rotbraun vergilbtes Purpur.
Fast das ganze Bild ist eigentlich nur dieses purpur.
Viel ist nicht drauf.
Links ist eine helle Tür.
Abram ist gerade ins Purpur getreten
- grauhaarig, barfüßig, 
im grauen Gewand.
Die Tür steht noch offen.
Er schaut wie einer, 
der gerade überraschend Besuch bekommen hat
und nicht so recht weiß, 
was er mit dem anfangen soll.
Er schaut wie einer, der nur kurz vor die Tür wollte
und nun aber vielleicht nie wieder zurück geht.
Über Abram wölbt sich noch eine Art Himmelshängematte,
blau mit goldenen Sternen. 
Und außer der Tür und Abram und der Hängematte
und dem vielen Rotbraun gibt es da noch eine Hand.
Sie kommt aus dem Himmel.
Ich weiß nicht genau:
zeigt sie nach vorne?
segnet sie?
winkt sie?
hält sie sich schützend über Abram?
Und Abram nimmt sein Gewand wie eine Schürze
und hält es hin wie das Sternentalerkind.
Als würde gleich was vom Himmel fallen, so steht er da.
Sehr ernsthaft.
Die Hand und den Himmel über sich, die offene Tür hinter sich, die Hände offen.
Und Gott sagt zu ihm: Geh aus deinem Vaterland!
Geh weg von denen, du du lieb hast.
Geh weg aus deinem Haus. Ich zeig dir was!
Ich segne dich. Ich gebe dir neue Namen. 
Du wirst Segen sein.

Und mein Freund,
dem ich diese Karte dann wirklich schickte,
musste sein Heim verlassen, die Gemütlichkeit,
das Eingerichtetsein, die Gewohnheiten,
das Hängen am Leben.
Er musste das aufgeben, unerwartet,
und wurde sehr krank.
Später schrieb er mir, dass das kein Zufall war
mit der Karte vom Abram.
Denn schon immer ist dieser Abram / Abraham
mit seinen Geschichten in seinem Leben gewesen.
Immer dann, wenn es besonders wurde.
In Aufbrüchen.
Brüchen.
Wo er Vaterland,Familienland, Heimatland verlassen hatte,
Lieblingsland, Kindheitsland, Liebesland, sicheres Land.
Da begegnete ihm „zufällig“ Abraham.
Und da sind viel mehr als nur mein Freund Roland.
Die verlassen täglich ihr Land.
Müssen durch neue Türen,
durch ungewohnte,
schauen erstaunt,
was sie wohl anfangen sollen mit dem Neuen.
Immer wieder ist das so.
So gehen Lebenslinien.

Solche Lebenslinien kenne ich, sagt Oma Gustl,
Aufbrüche und Flucht,
wir haben damals eine neue Heimat gefunden.
Und Peter von neben an sagt,
Flucht kenne ich auch,
meine Flucht führte in den Alkohol,
aber ich fand den Ausgang.
Karin meint: 
Mein Aufbruch ist der ins Alt-werden.
Durch diese Tür muss ich durch.
So sind Lebenslinien.

Lifeline - Lebenslinie
 - so heißt ein Boot im Mittelmeer.
Auf ihm haben sich die Lebenslinien vieler 
verzweifelter Menschen getroffen.
Lauter einzelne Menschen, 
die ihr Vaterland verlassen hatten,
auf der Suche nach einem Leben für sich.
Auf dem Boot waren die Lebenslinien dieser vielen Menschen aufeinander gestoßen 
und  in Seenot in eine fast größere Not geraten:
In die Gleichgültigkeit.
Die 233 Geretteten 
auf dem Schiff mit dem Namen Lebenslinie hatten Glück.
Sie fanden einen Hafen in Malta.
Sie fanden eine offene Tür.
Der Himmel hat seine Matte über sie gespannt
und die Hand hatte sie unsichtbar behütet.
Sie hatten Glück. Sie konnten an Land.
Neues Land für sie.

Mein Freund Roland,
der noch vor Wochen das Bild vom Abram in den Händen hielt, der hatte auch Glück.
Sein Lebensschiff hat auch in einem Hafen angelegt,
über ihm die Himmelshängematte
und die Hand. Einladend.
Er ist mit seinem Boot hinübergesegelt
ans äußerste Meer.
Morgen werden wir seine leibliche Hülle 
in Gottes Erde betten.
Er hat sein Vaterland verlassen
wagemutig
und kommt ins Gottesland.
Die Lieben, die er zurücklässt, 
die müssen nun auch aufbrechen,
wenig glücklich,
in eine Land ohne ihn. 
Aber er hat es ihnen vorgelebt.
Die tiefe Zuversicht.
Dass in allen Brüchen und Aufbrüchen
wie bei Abram
Segen sein wird.
Und immer
Gott.

Und Gott sagt zu ihm: Geh aus deinem Vaterland!
Geh weg von denen, du du lieb hast.
Geh weg aus deinem Haus. Ich zeig dir was!
Ich segne dich. Ich gebe dir neue Namen. 
Du wirst Segen sein.

Und heute, 
einen Tag vor seiner Beisetzung,
da ist uns die Geschichte von Abram
als Predigttext gegeben.
Ich glaube nicht an Zufälle.
Ich glaube an die Treue Gottes.
Dass wir Glück haben mit ihm.
Dass wir Häfen finden werden und offene Türen.
Der Himmel hat seine Matte über uns gespannt
und die Hand uns behütet. Unsichtbar.
Wir haben Glück. Wir können an Land.
Neues Land für uns.
„Ich segne dich, sagt dir Gott. 
Ich gebe dir neue Namen. 
Du wirst Segen sein.“ Amen


Und der Friede Gottes, welcher höher ist, als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.


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