Sonntag, 28. Januar 2018

Meine Predigt zum Ökumenischen Gottesdienst
in der katholischen Kirche St. Ägidius in Wolfmannshausen. 

Lesungen sind das Lied der Israeliten auf Gott, ihren
starken Arm und Jesus, der Talitakumi sagt.


Deine rechte Hand, Herr, ist herrlich an Stärke…
Deine rechte Hand, Herr, ist meine Stärke.
Aber ich habe auch Schwächen.
Ich hatte eine große Schwäche für Christian Weber.
Wir waren 4. Klasse.
Unsere Klassenlehrerin sagte immer,
Christian sähe aus wie Peter Maffay und das stimmte auch:
die gleiche verwegene Mund-und Nasenpartie,
ein Leberfleck über der Lippe
und dunkelbraune lockige Haare.
Und er konnte sogar richtig gut singen.
Manchmal musste er aufstehen und
einen Song von Peter Maffay singen
und die Lehrerin,
sie war noch sehr jung,
hatte Tränen in den Augen:
„…Und wenn ich geh, geht nur ein Teil von mir
Und gehst du, bleibt Deine Wärme hier
Und wenn ich wein, dann weint nur ein Teil von mir
Und der andere lacht mit dir…"
Christian wusste genau,
dass er sie mit dieser Masche in der Tasche hatte.
Und wir Mädchen hatten alle eine Schwäche für ihn.
Ich auch.
Dass ausgerechnet er es war,
tat mir besonders weh.
Es war eines Tages auf dem Schulhof.
Laut lachend sprang er plötzlich auf mich zu,
riss die Arme in Schulterhöhe weit auseinander und
ließ die Kopf pendelnd hängen,
verdrehte die Augen.
"Ich bin dein scheiß Jesus
und ich sterbe jetzt!!
Hahaa.“
Die schwarzen Locken fielen ihm in die Stirn.
Die Arme ausgebreitet.
So stand er vor mir.
Und lachte mich aus.
Christian war nicht nur der Schönste
er war auch der Stärkste.
Die anderen lachten,
manche schauten verschämt zur Seite,
meine Freunde hatten sich verzogen.
Nur aus sicherer Entfernung schauten sie gespannt zu.
Noch immer machte Christian den Jesus
am Kreuz
und lachte.
„Hahaa!!!
Jesus!
Der stirbt!
Guck doch hin.
So ein scheiß Jesus.
Wer glaubt denn so eine Scheiße!!“
Ich zitterte.
Ich holte Luft.
„Das ist kein scheiß Jesus!“,
schrie ich ihn an
und ging eine Schritt auf ihn zu.
Damit hatte er nicht gerechnet.
„Hör auf!“, schrie ich.
Jemand rempelte mich von hinten an.
Seine Freunde hatten ihn nicht im Stich gelassen.
Sie lachten und stellten sich neben ihn.
Gott
wo warst du da?
Wo war da dein Arm?
Deine Rechte?
Deine Stärke?
Es war kein Gott da,
der meinen Gegner zu Boden warf
oder ihn zerschmetterte,
der Zorn schnaubte und Wellen und Sturm schickte
oder ein Meer teilte für mich.
Mein Gegner wurde nicht von der Erde verschlungen,
er zitterte nicht vor deiner Macht, Gott.
Da war kein Schrecken und keine Furcht bei ihm
und er erstarrte auch nicht zu Stein.
Es kam niemand
nahm meine Hand
und sagte
„Talita Kumi“,
„Steh auf, mein Kind!“.
Genausowenig
bebte der Boden unter den Füßen meiner Lehrerin
als sie alle Christenkinder aufforderte,
aufzustehen
und die anderen mussten ihre Finger gegen uns erheben,
auf uns zeigen
und lachen.
- Kein Erdbeben!
Wo war da Gott, meine Stärke?
Die Israeliten haben ihn besungen,
weil er alle Feinde schreckte und zermalmte.
Doch suchen wir diesen Gott manchmal vergeblich.
Gestern vor 73 Jahren
wurde Auschwitz befreit.
Ein Todesort.
Millionen Tote waren es in Europa in wenigen Jahren.
Viele davon in Auschwitz.
Eine von ihnen war Etty.
Ein junge Frau aus Amsterdam.
Sie wurde dort 1943 ermordet.
Sie wusste, dass es so kommen würde.
Sie hat uns erstaunliche Gedanken in einem Tagebuch und vielen Briefen hinterlassen.
Erstaunlich weil ohne Hass.
Weil mit tiefem Glauben.
Ein Jahr vor ihrem Tod schrieb sie dies:
„Es sind schlimme Zeiten, mein Gott. Heute Nacht geschah es zum ersten Mal, daß ich mit brennenden Augen schlaflos im Dunkeln lag und viele Bilder menschlichen Leidens an mir vorbeizogen. Ich verspreche dir etwas, Gott, nur eine Kleinigkeit: Ich will meine Sorgen um die Zukunft nicht als beschwerende Gewichte an den jeweiligen Tag hängen, aber dazu braucht man eine gewisse Übung. Jeder Tag ist für sich selbst genug. Ich will dir helfen, Gott, daß du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: daß du uns nicht helfen kannst, sondern daß wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen […]. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, daß du uns nicht helfen kannst, sondern daß wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen. Es gibt Leute, es gibt sie tatsächlich, die im letzten Augenblick ihre Staubsauger und ihr silbernes Besteck in Sicherheit bringen, statt dich zu bewahren, mein Gott. Und es gibt Menschen, die nur ihren Körper retten wollen, der ja doch nichts anderes mehr ist als eine Behausung für tausend Ängste und Verbitterung. Und sie sagen: Mich sollen sie nicht in ihre Klauen bekommen. Und sie vergessen, daß man in niemandes Klauen ist, wenn man in deinen Armen ist.“ (Etty im „Sonntagmorgengebet“ vom 12. Juli 1942)
Deine rechte Hand, Herr, ist herrlich an Stärke…
Aber du hast noch eine andere Hand.
Die andere Hand ist herrlich in Schwäche.
Vielleicht habe ich Gott geholfen,
als ich auf dem Schulhof „Hör auf“ schrie.
vielleicht war ER dieses „Hör auf!“?
Vielleicht war er meine Tränen?
Vielleicht war er es, der mich aufstehen ließ,
als die anderen mit Fingern zeigten.
Vielleicht war er in meiner Schwäche.
Vielleicht braucht er meine Schwäche?
Du, Herr, bist meine Stärke.
Du, Herr, bist meine Schwäche.
Vielleicht sie ganz besonders. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, der halte unsern Verstand wach und unsre Hoffnung groß und stärke unsre Liebe. Amen.


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