Dienstag, 12. Dezember 2017

Es ist noch dunkel, wenn die Kinder morgens zum Bus gehen. Die kleine Haltestelle liegt genau in der Mitte zwischen zwei Straßenlampen und ist nur mäßig beleuchtet. Wenn man dort jetzt im Dezember miteinander ins Gespräch kommt, dann kann man die Gesichtszüge des Gegenüber manchmal nur ahnen. Bald 20 Kinder tummeln sich dort am Morgen. Es sind die jüngeren Schüler, die zur Grundschule fahren müssen. Die Mädchen spielen Klatschspiele oder flüstern sich kichernd Geheimnisse ins Ohr. Die Jungs lassen ihrer Energie freien Lauf und rennen die Straße hoch und runter, spielen Fangen, lachen laut und rufen sich Dinge zu. Alles im Halbdunkel. Die Farben des Tages sind noch nicht erwacht. Schattengleich huschen die Kinder umher. Am Rande stehen die großen Schatten der Eltern, die warten, bis der Bus kommt. Heute morgen aber stand mittendrin bei all den Kindern ein großer krummer Schatten. Es war der Nachbar. Mit seinen weißen schütteren Haaren und einer viel zu dünnen Jacke. Seine Zähne leuchteten weiß im schwachen Licht, als er lachte. Er lebt ganz alleine. Ein frei fliegender grüner Wellensittich ist sein treuester Kamerad. Er raucht viel und hustet viel. Und wenn er redet, dann meistens Sprichwörter und Scherze. Vielleicht helfen sie ihm über die Einsamkeit hinweg. Und heute musste er zum Arzt. Damit er seine Termine schafft, nimmt er immer den Schulbus. Frühzeitig war er hinüber geschlurft. Stand hüstelnd in der kalten Morgenluft. Der Atem stieg in kleinen Wölkchen aus seinem Mund. Die ersten Kinder kamen mit ihren Ranzen, die sie - wie jeden Morgen - fein säuberlich in eine lange Schlange stellten. Und plötzlich steht er mitten im Hopsen und Lachen der Kinder. Er schmunzelt. „Was sagen zwei Kerzen zueinander?“, ruft einer. „Keine Ahnung!!“, ruft sein Kumpel. „Lass uns mal zusammen ausgehen!“ Gelächter. Und der Nachbar lacht mit. Laut und hell. Und sein faltiges graues Gesicht scheint im Schummerlicht plötzlich rosig und seine Gesten wie die eines kleinen Jungen. Kichernd kickt er den Stein zurück, den ein kleiner Junge in seine Richtung schießt. Im Wogen der Kinder wird er ausgelassen heiter wie sie. „Bus!! Bus!!“ schallt es durch die Straße. Alle Kinder rennen zu ihren Ranzen und fädeln sich nacheinander in den Bus ein. Der Nachbar mittendrin. Lachend. Und als dann später alle einen Platz gefunden haben und ihren Müttern und Vätern durch die Scheiben winken, da winkt auch er den Müttern und Vätern. Übermütig. Lachend. Für einen Morgen Kumpel und Kind geworden. 


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