Donnerstag, 31. August 2017


Abendmahl mit Helmut 

Helmut, 57, klein, hager, glatzköpfig und mit Schalk in den Augen steht aufrecht an seinem Platz im Museum. Er ist nicht der typische Museumswärter, das sieht man sofort. Er ist so einer, den man gerne ansprechen würde. Und das hier macht er auch zum ersten Mal. Nur weil Reformationsjahr ist und Wittenberg-Rummel. Sonst macht er Wachschutz. Baustellen. Partys, Kirchentage. Sogar Parfümerien. Aber das mochte er nicht, weil er dann kaum noch was riechen konnte. Parfüm mag er sonst sehr. Zwei Flaschen braucht er im Monat. Und er riecht auch gut. Als ich ihn anspreche, weiß ich gleich, dass ich ihn mag. Er hält sich nicht lange mit Geplänkel auf. Ich frage ihn, was diese Arbeit mit ihm macht. Und wie so eine Arbeit sei - als Bewacher. Eine einsame Arbeit ist es. Stundenlang stehen. Im schlimmsten Fall waren es 15 Stunden. Auf Klo gehen? Trinken? Manchmal kaum möglich. Er ist der Unauffällige. Wachsam. Für die anderen nicht von Interesse. Fast wie ein Inventarstück. Acht Wochen hat er jetzt durchgearbeitet. Ohne Pause. Nur Arbeit. Kein Leben. Ob er sich das Leben für später aufhebe? Da lacht er. Es werde kein später geben - bei einem solchen Arbeitsalltag. Und zu Hause wäre seine kranke Frau. Kein Leben mehr übrig im Moment. Er erzählt, was ihm manchmal so schwer ist. Wir schweigen zusammen. Und seufzen. Ich sitze bei ihm. Dann gehe ich weiter. Wünsche ihm Gutes. Morgen werde ich nochmal im Museum sein. Bis morgen! Ruft er. Als ich am nächsten Tag im Museum den Flur 4 betrete, sieht er mich von weitem und kommt lächelnd auf mich zu. Unfassbar! Sagt er. Ich habe eine neue Arbeit! Wir setzen uns auf sein Fensterbrett. Ich freue mich mit ihm. Gleich bei mir zu Hause. Genau gegenüber. Sie haben mich gestern Abend angerufen, meint er fassungslos und schüttelt den Kopf. Er schwärmt begeistert von seiner neuen Arbeitskleidung. Er erzählt, worauf er sich schon freut. Auf sein Leben nämlich. Dann wird er still und schaut mich an. Kommen Sie mal. Sagt er. Gleich nebenan steht ein Kunstobjekt. In den Glasröhren symbolisieren bunte Bonbons den Überfluss. Vielleicht auch das Leben - neben all dem Grau. Er zieht mich zum Kunstwerk. Wird ganz ernst. Dann öffnet er einen kleinen Schieber und lässt einige Bonbons heraus. Er richtet sich auf. Wir stehen uns gegenüber. Er legt mir einen goldenen Bonbon in die Hand. Und dann essen wir beide andächtig. Meine Hand drückt kurz seine Schulter. Alles Gute! Ich drück Ihnen die Daumen! Er nickt. Lächelt. Würde-voll. Ich gehe. An meinem dritten und letzten Projekttag im Museum laufe ich nur kurz mit der ganze Gruppe im Schlepptau an Helmut vorbei. Wir sehen uns an. Lächeln einverständlich. Jemand ruft: Wir sind die, die schon die letzten Tage hier waren! Ich weiß doch. Sagt er. Und dann als ich noch einmal neben dem Kunstwerk stehe… die einzigen Lebensmittel im Raum sind die bunten Bonbons - da verstehe ich plötzlich. Und sehe uns nebeneinander: klagen und danken. aussprechen. das Amen nur seufzen. teilen. schmecken und sehen.

(31.08.2017)





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