Freitag, 21. April 2017



Die Kirche ist gut gefüllt und füllt sich weiter. 
Schwarz Gekleidete strömen herein. 
Ganz vorne steht zwischen Bergen von Blumen und Grünzeug eine Urne.
Die Trauerfeier wird gleich beginnen.
Leise trete ich mit meinen Büchern an das Pult,
lege mir alles zurecht.
Da kommt etwas von rechts.
Ich zucke zusammen.
Ein kleiner schwarzer Ball fliegt auf mich zu,
landet ganz dicht neben mir am Pult.
Ich blicke in die Augen eines kleinen Rotkehlchens.
Es legt den Kopf schief.
Zwinkert, wie mir scheint.
Dann nimmt es ausführlich Anlauf und fliegt zum Fenster hinter dem Altar.
Zwinkert wieder, nickt.
Dann verschwindet es nach oben.
Ich muss lächeln.
Als wollte es mir etwas sagen.
Dann klettere ich über die vielen Treppen 
und durch mehrere Türen hinauf zum Organisten.
Ein verwinkelter Weg wie im Dornröschenschloss.
Wir reden kurz.
Der Arme Vogel, sagte er. Eine ganze Woche schon ist er in der Kirche.
Dann zeigt er mit dem Finger auf die gegenüberliegen Seite.
Dort. Ganze oben, in der dritten Empore über dem Eingang, sitzt das Rotkehlchen.
Es nickt mir zu.
Ich mache mich auf den Rückweg über die vielen kleinen Treppen
und nehme den Ausgang auf die Emporen. 
Leise komme ich näher. 
Das kleine Vögelchen sitzt auf dem Fensterverschluss
des einzigen Fensters, das man öffnen kann. 
Es lässt mich dicht heran.
Dann nickt es wieder und fliegt ein Stück zu Seite.
Vorsichtig öffne ich das alte klapprige Fensterchen.
Zögernd schauen mich die kleinen Augen an.
Also gehe ich über die vielen Treppen hinab in die Kirche.
Es läutet. Die Orgel setzt ein.
Die Trauerfeier beginnt.
Vom Altar aus kann ich das winziger Fenster ganz oben sehen.
Und da.
Der Chor singt gerade:
Weiß ich den Weg auch nicht - DU weißt ihn wohl!
Da hebt es seine Flügel
und rauscht hinaus gen den Himmel.


21.4.2017

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